Atelierbericht


„Farbe ist das, was unsere Augen denken“ - Paul Cezanne

Auseinandersetzung mit Farbe 2020-2023

 

„Zitronengelb, Lippenstiftrot, Froschgrün, Kornblumenblau, Sonnenblumengelb, Veilchenviolett, Federweiß, Schweinchenrosa, Erdbeerrot, Blattgrün, Wolkenweiß, Kirschrot, Orange, Feuerwehrrot, Königskronengold, Prinzessinnenrosa, Hexenhaarrot, Tannengrün, Blutrot, Rabenschwarz, Meerblau, Regengrau, Regenbogenbunt, Erdbraun, Gurkengrün, Erbsengrün, Kreideweiß, Lakritzschwarz, Ziegelrot, Tomatenrot, Mausgrau, Pflaumenblau, Bananengelb, Feuerrot, Kartoffelbraun, Blaubeerblau, Kastanienbraun, Zebrastreifenweiß, Apfelgrün, Krokodilgrün, Wasserblau, Buntkariert, Matschbraun, Goldgelb, Konfettibunt, Nachtschwarz.“

 

Ganz schön viele Farben!

Die begegneten uns bereits zu Anfang unserer Auseinandersetzung mit Farbe in dem Büchlein „Zitronengelb und Feuerrot“ von Sabine Lohf. Diese Fülle! Da kann einem schon ein wenig schwummerig werden. Kunst und Farbe können gar zur völligen Selbstauslöschung führen, das haben wir erfahren durch „Art und Max“ von David Wiesner.

 

Also, „Wer hat Angst vor Rot, Blau, Gelb?“ Niemand? Wirklich? Und wenn sie aber kommen? Dann laufen wir davon!

 

HALT! STOP!

Diese radikale Lösung haben wir nicht gewählt bei Kind & Kunst.

Unserem Leitbild treu, in dem es heißt: „Kindliche Entwicklung verläuft in eine vorhersagbare Richtung: Vom Einfachen zum Komplexen, vom Bekannten zum Unbekannten...“, haben wir eine Kehrtwendung vollzogen und nochmal ganz einfach angefangen.


 

 

Gelb.

 

Blau.

 

Rot.



Soweit und so differenziert genug für den Anfang und für Einjährige schon sehr differenziert!

 

Ich zitiere weiter aus unserem Leitbild: kindliche Entwicklung verläuft „von sich Selbst zum anderen, vom Konkreten zum Abstrakten, vom taktilen zum symbolischen Erfassen, vom Suchenden zum Zielgerichteten, vom Impulsiven zur Selbstkontrolle.“

 

Und wie kann man ein Rot konkret anfassen oder suchen?

 

Zum Beispiel kann man ein Rot in einer Kiste umfunktionierter Wasserflaschen suchen und finden, in flüssiger Form, in Perlenform oder vielleicht in Schnürsenkelform.

Rote Dinge kann man im Kindergarten suchen, blaue und gelbe auch.

 

Man kann, ganz taktil, einen roten, blauen oder gelben Stecker zur Hand nehmen und auf einem Steckbrett anfangen, ein schönes Muster zu stecken.



Diese Fragen wurden kontrovers diskutiert innerhalb unserer Künstler- und Künstlerinnen-Gemeinschaft und wir bemühten uns dabei auch um Sekundärliteratur.

So half uns dabei besonders „Die wahre Geschichte von allen Farben“ von Eva Heller.

 

Von dort bis zu Wassily Kandinskys Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ von 1910 war es dann nicht mehr weit.

 

Sie werden sich fragen, wie man Zweijährigen eine kunsttheoretische Abhandlung näherbringt. Na, ganz einfach, indem man Theorie praktisch erlebbar macht.

 

So wurde der Galerieraum von Kind & Kunst umgestaltet in ein Museum. Vorbei war es mit der Monochromie.

 

Künstlerinnen und Künstler vergangener Tage, sozusagen Ahnen unserer Farbenforscher, wurden anhand von Drucken den Kindern zur Anschauung gebracht.

 

Vielerlei Museumsführungen wurden abgehalten. Besonders gut besucht war die Führung. „Wir treffen Paul Klee“.

 

Die „blauen Reiter“ bekamen für die Kinder Gesichter und ihre Werke wurden studiert.

Dabei hat die Älteren das bemalte Treppengeländer des Murnauer „Russenhauses“ besonders begeistert (vielleicht auch, weil man Treppen ja eigentlich nicht anmalen darf??).

 

Dass Künstler und Künstlerinnen sich zusammenschließen, um ihre Vorstellung von der Kunst und ihre Einstellung zum Leben mit mehr Macht vertreten zu können, das haben alle unsere Kinder sofort verstanden: „Das war bei denen wie bei Kind & Kunst.“

 

Auch zum Thema Freiheit der Kunst gab es eine Meinung: „Warum haben sich die Leute aufgeregt, wenn die Künstler einen lila Baum gemalt haben? Jede malt doch so wie sie will und wie sie das schön findet. Der andere kann doch andere Bilder malen. Jedes ist eben auf seine Art schön!“

Man kann so malen wie man will: „Die Kunst ist frei!“

 

Unter dieser Maxime wurden von uns Leinwände, viele Flaschen „Biocolor“ und eine Staffelei zur Verfügung gestellt.

 

Wir baten die Kinder, sich mit einer Skizze um eine Leinwand zu „bewerben“.

Nicht, damit wir Erwachsenen Motiv oder Umsetzung bewerteten, vielmehr sollten die Kinder ihre Ideen vertreten, sich Gedanken über ihr Gemälde gemacht haben.

Als Nebenprodukt verringerte sich auch die Ehrfurcht der Kinder vor der leeren Leinwand.

 

Skizzen wurden angefertigt und uns präsentiert. Gerade für unsere Dreieinhalb- bis Fünfjährigen war das ein Projekt, das aufs Vortrefflichste mit den Urformen kindlichen Ausdrucks ihrer Entwicklungsphase korrelierte.

Als „Mustermaler“, wie die Kinder in dieser Entwicklungsphase von jeher bei uns genannt werden, konnten herrlich mit Farben und Formen spielen und experimentieren.

 

Im Laufe der Wochen intensiver Arbeit an den Gemälden entstand eine ganz besondere Stimmung in unserem Galerieraum, der jetzt eher ein Atelier war.

 

So aufgehoben, eingebunden, eben „gut gebunden“ können sich Kinder frei und selbstwirksam ihrem inneren Entwicklungsplan hingeben.

 

Wir Erwachsene brauchten nichts zu tun, als es geschehen zu lassen.

Und, als gute Mäzene, genügend Material zur Verfügung zu stellen.

Die Kinder waren so voller freudiger Spannung, wenn sie eine Leinwand aus ihrer Schutzumhüllung befreien durften und die weiße Fläche für sie freigegeben wurde.

Es ging ihnen mit uns wie es August Macke mit seinen Unterstützern ging: „Freuen kann ich mich, freuen, dass es solche Menschen gibt, die so ohne Vorurteil der Jugend gegenüberstehen... dann will ich malen, dass der Pinsel nur so tanzt auf der Leinwand...“

„Und so genügt es, dass man sagt: alles ist erlaubt.“ Wassily Kandinsky.